Freiheit und Unabhängigkeit geschichtswissenschaftlicher Forschung in Italien sind bedroht

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Prof. Dr. Michael Matheus, Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom

Freiheit und Unabhängigkeit geschichtswissenschaftlicher Forschung in Italien sind bedroht.

Welche institutionellen und finanziellen Formen geeignet sind, die in Deutschland im Grundgesetz garantierte Freiheit der Forschung zu gewährleisten, wird seit Jahren diskutiert. In einem besteht jedoch Konsens. Der Staat ist verpflichtet, organisatorische und finanzielle Vorkehrungen zu treffen, die Unabhängigkeit und Leistungsfähigkeit wissenschaftlicher Forschung zu sichern. Dieses Prinzip ist in zahreichen Verfassungen und auch im UNO-Menschenrechtspakt von 1966 als Grund- und Menschenrecht verankert.

Ein dem italienischen Staatspräsidenten zur Unterschrift vorliegendes Gesetzesdekret, das eine Neuordnung der italienischen geschichtswissenschaftlichen Institute vorsieht, verstößt gegen dieses hohe Gut (vgl. im Anhang die Pressemitteilung des Zentralausschusses für die geschichtswissenschaftliche Forschung in Italien in deutscher und italienischer Sprache).

Aus der Sicht des Deutschen Historischen Instituts (DHI) in Rom, gegründet 1888 als Preußische Station, sind auf der Grundlage des Gesetzesdekretes nicht akzeptable Eingriffe in die Freiheit und Unabhängigkeit geschichtswissenschaftlicher Forschung geplant. Nach zwei Weltkriegen war es keineswegs selbstverständlich, daß das Deutsche Historische Institut im Jahre 1953 seine Arbeit wieder aufnehmen konnte. Die beiden Staatsmänner Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer haben seinerzeit ausdrücklich die Unabhängigkeit geschichtswissenschaflicher Forschung ("Gestione autonoma") garantiert. Auf dieser Basis kooperiert das DHI in Rom seit Jahrzehnten mit zahlreichen geschichtswissenschaftlichen Einrichtungen im Gastland. Das dem Staatspräsidenten vorliegende Gesetzesdekret bedroht die bewährten Formen internationaler Kooperation.

Zwar steht zu befürchten, daß das Gesetzesdekret nicht verhindert werden kann, doch erscheint eine Debatte über die vorgesehenen Maßnahmen nicht zuletzt aus europäischer Perspektive notwendig. Besonders gegenüber solchen Entscheidungsträgern in Italien, die sich explizit als Europäer verstehen, sollten Bedenken und Besorgnisse formuliert werden (On.le Ministro Prof. Rocco Buttiglione, Ministero dei Beni e delle Attività Culturali, Via del Collegio Romano 27, I-00186 Roma
Al Presidente della Repubblica Italiana, Carlo Azeglio Ciampi, Presidenza della Repubblica, Palazzo del Quirinale, I-00187 Roma).

Rom, den 18. November 2005

Prof. Dr. Michael Matheus

Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom
Via Aurelia Antica, 391
I-00165 Roma
Tel.: 0039-06-660492-26
Fax: 0039-06-6623838
www.dhi-roma.it

ANHANG
Pressemitteilung des Zentralausschusses für die geschichtswissenschaftliche Forschung in Italien

Giunta Centrale per gli Studi Storici
Via Milano 76 - 00184 Roma

Rom, den 15. November 2005

Dem Staatspräsidenten liegt ein Gesetzesdekret zur Unterschrift vor, das die Neuordnung des Zentralausschusses für die geschichtswissenschaftliche Forschung (Giunta Centrale per gli Studi Storici) und der ihm angeschlossenen nationalen Forschungsinstitute für die Antike (Istituto Italiano per la Storia Antica), das Mittelalter (Istituto Storico Italiano per il Medioevo), die Neuere und Neueste Geschichte (Istituto Italiano per l'Età Moderna e Contemporanea) und das Risorgimento (Istituto per la Storia del Risorgimento Italiano) beinhaltet. Das Dekret sieht die sofortige Auflösung (zum 31. Dezember) der Giunta und aller Leitungsräte bzw. wissenschaftlicher Beiräte vor. Zugleich wird die Regierung bevollmächtigt, den Vorsitzenden der Giunta, die Institutsleiter und einen Großteil der Mitglieder der Leitungsräte direkt zu nominieren.

Angesichts dieser Sachlage hält es die Giunta für ihre Pflicht, Protest einzulegen und ihn dem Parlament, der öffentlichen Meinung und insbesondere der Historikerschaft bekannt zu machen. Eine derartige, seit Gründung des Istituto Storico Italiano im Jahr 1883 erstmals getroffene Entscheidung zerstört mit einem Schlag die Arbeitsgrundlagen von legitim konstituierten Organen, die sich über Jahrzehnte hinweg regelmäßig erneuert und wichtige wissenschaftliche und organisatorische Aufgaben auf nationaler und internationaler Ebene erfüllt haben. Die Regierung hat sich bedenkenlos über die grundsätzlichen Vorbehalte und präzise formulierten Bedingungen des Staatsrates hinweggesetzt, der in der Tat das verfassungsrechtlich verankerte Prinzip von der Freiheit und Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Forschung in Frage gestellt und verletzt sah.

Vor fünf Jahren hatte die Giunta einen Reformplan ausgearbeitet und vorgelegt, der die Miteinbeziehung der Historikerschaft und die Unabhängigkeit von den politischen Entscheidungsinstanzen sicherstellen sollte. Unter Verzicht auf die Ernennung auf Lebenszeit (die den Einfluß befristet amtierender Regierungen einschränkte, aber die wissenschaftliche Gemeinschaft nicht miteinbezog), wurde das Mandat nunmehr - mit der Möglichkeit einer einmaligen Verlängerung - auf vier Jahre begrenzt. Der Kandidat sollte aus einer unter Beratung und Mitwirkung von Vertretern der historischen Disziplinen erstellten Vorschlagsliste ausgewählt werden.

Die Giunta machte sich diesen Vorschlag zu eigen und nahm ihn in einen umfassenden Reformplan auf, der den Fortbestand und die öffentliche Funktion der nationalen Forschungsinstitute und der Deputazioni di Storia Patria (die für lokal und regional verwurzelte Forschungstraditionen stehen) sicherstellen sollte. Der Vorschlag, der sich mit dem Reformgesetz von 1999 verknüpfen läßt, hat zwar zu mehreren Gesprächen mit den zuständigen Ministern und zur Abfassung von Entwürfen geführt, die jedoch alle fallen gelassen wurden bzw. völlig unbeachtet blieben; dafür kam es zum jetzigen Handstreich. Die vorgesehene Lösung stellt nicht nur die wissenschaftliche Unabhängigkeit von den politischen Entscheidungsinstanzen in Frage, sondern behebt keines der schwerwiegenden Finanzprobleme, die seit langem die Forschungsaktivitäten behindern.

Die Giunta beschließt, das vorliegende Kommuniqué den zuständigen Stellen, den zuständigen parlamentarischen Kommissionen und der Presse zu übermitteln, ferner den Weltkongreß der Historischen Wissenschaften und die übrigen nationalen Organe und internationalen Kommissionen zu informieren. Die Giunta beschließt, vorliegendes Schreiben allen Fachbereichen historischer Ausrichtung und allen historischen Vereinigungen bekannt zu machen und aúf der eigenen Webseite eine entsprechende Debatte einzuleiten.

Die Giunta konstatiert die Unrechtmäßigkeit des von der Regierung verabschiedeten Entwurfes und behält sich die Einleitung rechtlicher Schritte vor.

GIUNTA CENTRALE PER GLI STUDI STORICI
Via Milano 76 - 00184 Roma

COMUNICATO STAMPA

Roma, 15 novembre 2005

È alla firma del Presidente della Repubblica un DPR contenente il nuovo Regolamento riguardante la Giunta Centrale per gli Studi Storici e gli Istituti storici nazionali ad essa collegati (Istituto Italiano per la Storia Antica, Istituto Storico Italiano per il Medioevo, Istituto Storico Italiano per l'Età Moderna e Contemporanea, Istituto per la Storia del Risorgimento Italiano): esso prevede lo scioglimento immediato (il 31 dicembre) della stessa Giunta e di tutti i Consigli direttivi. Nello stesso tempo il Decreto prevede di attribuire al Governo la nomina diretta del Presidente stesso della Giunta, dei Direttori degli Istituti e della grande maggioranza dei membri del Consigli direttivi.

Di fronte a questa situazione la Giunta ritiene doveroso esprimere al Parlamento, all'opinione pubblica e in particolare alla comunità degli storici, la propria protesta. Una simile decisione, per la prima volta dalla costituzione dell'Istituto storico italiano nel 1883, pretende di troncare d'un colpo la vita di organismi legittimamente costituiti, regolarmente rinnovati per decenni e investiti di importanti responsabilità scientifiche e organizzative sul piano nazionale e internazionale. Il Governo non ha esitato a stravolgere il parere del Consiglio di Stato che avanzava riserve di fondo e poneva precise richieste ritenendo investito e stravolto il principio costituzionale della libertà e dell'autonomia della ricerca scientifica.

La Giunta da 5 anni aveva elaborato e presentato un suo progetto di riforma per garantire il coinvolgimento della comunità degli storici e l'autonomia dal potere politico: rinunciando alla nomina a vita (che garantiva dai governi pro-tempore ma non coinvolgeva la comunità scientifica) si riteneva necessario che le nomine divenute quadriennali e non rinnovabili per più di un secondo mandato dovessero avvenire sulla base di rose di nomi proposte dietro consultazione e partecipazione degli studiosi delle discipline storiche.

La Giunta inseriva questa proposta in un progetto più generale per garantire la presenza e la funzione pubblica degli Istituti nazionali e delle Deputazioni di Storia Patria (che esprimono tradizioni di studio radicate sulle realtà locali e regionali). La proposta - collegabile con la riforma prevista con la legge del 1999 - ha dato bensì luogo a vari incontri con i Ministeri competenti e alla formulazione di testi che però sono stati lasciati cadere nel nulla, o sono stati completamente disattesi sino a quest'ultimo colpo di mano. Con la soluzione attuale non soltanto non è garantita l'autonomia scientifica dal potere politico ma risultano del tutto non risolti i gravi problemi finanziari, che da tempo costituiscono un ostacolo alle attività.

La Giunta decide di trasmettere il presente comunicato alle autorità competenti, alle commissioni parlamentari competenti e alla stampa; di informare il congresso mondiale di Scienze storiche e gli altri organismi nazionali e le commissioni internazionali.

La Giunta decide di comunicare il testo a tutti i dipartimenti di carattere storico, alle associazioni storiche e di promuovere sul proprio sito una discussione in merito.

La Giunta, constata l'illegittimità del testo approvato dal Governo, si riserva inoltre ogni azione anche sul piano giuridico.

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